Es begann im Sommer 2019, als ich eine spannende Anfrage der Justus-Liebig Universität Gießen bekam. Ein internationales Forschungsteam will stärker selbst organisiert arbeiten, da sich das Team auf mehr als 10 Promovierende verdoppelt hat und eine individuelle Betreuung durch den Doktorvater bei der Gruppengröße nicht mehr leistbar ist. Zudem arbeiten mehrere Promovierende an ähnlichen Themen, da ist eine engere Zusammenarbeit und die bessere Vernetzung untereinander sehr sinnvoll. Andere Formate der Zusammenarbeit wurden notwendig.

Beim vorbereitenden Telefonat machte Professor Wegner, der Initiator und Betreuer der Promovierenden deutlich, dass „wenn wir das angehen, dann machen wir es richtig. Wichtiger ist der nachhaltige Erfolg als ein eiliger Prozess.“. Für alle Beteiligten war Zeit ein knappes und wertvolles Gut. Das effektive Nutzen der vorhandenen Zeit hatte oberste Priorität.

Gesagt, getan.

Wir einigten uns auf einen 2-tägigen Workshop im Oktober 2019, bei welchem im 1. Schritt der Fokus auf dem Verständnis und Überblick der agilen Arbeitsweise liegen sollte. Was sind z.B. Kernaussagen im Agilen Manifest, welche Veränderungen ergeben sich bei der End-to-End-Verantwortung sowie im Umgang mit Unsicherheit und was heißt es, Fehler machen und scheitern zu dürfen.

Besonderes Interesse weckte der Scrum-Prozess. Hier halfen Impulse und praktische Erfahrungen der TU Dortmund von einem Forscherteam, welche mit Scrum promovieren. Dem Gießener Team war es wichtig, zu verstehen, warum die einzelnen Schritte im Scrum-Prozess so relevant sind.

Wozu ist es wichtig, vor dem Projektstart eine Vision zu haben? Warum macht es Sinn, regelmäßig mit einem Review auf den Prozess und das Prozessergebnis zu schauen? Und warum ist es gerade bei wechselnden Teams – und das sind Forschungsteams in der Regel – so wichtig, bewusst auf die Art und Weise der Teamzusammenarbeit zu schauen (Retrospektive). Warum ist es so wichtig, sich bewusst zu sein, wie viele Wochenstunden für welchen Zweck verwendet werden sollen (Priorisierung, Fokus, Aufwandsschätzung).

Anschließend bewertete das Team die Vorteile / Benefits und Hindernisse innerhalb des Scrum-Prozesses. Das war die Basis für die individuelle Anpassung des Prozesses an die Bedürfnisse des Teams, wie nachfolgende Übersicht zeigt.

Der 2. Tag diente vor Allem dem verbindlichen Festlegen von nächsten Schritten. Hierzu wechselten wir die Location und gingen gemeinsam in die Labore der Forschenden. Das war wichtig, denn der Arbeitsraum spielt eine wichtige Rolle, ob anschließend direkt losgelegt werden kann.

Die Forschenden entwickelten individuelle Kanban-Boards für ihre Forschungsarbeiten (to do – in Progress – done). Dies war eine wichtige Schnittstelle, um sich gegenseitig über das aktuelle Tun zu informieren – sowohl untereinander als auch mit Professor Wegner als betreuenden Doktorvater.

Weiter wurden Weeklys und Monthlys vereinbart. Drei Subgroups mit jeweils ähnlichen Forschungsschwerpunkten treffen sich 1 x wöchentlich. Das Monthly ist eine Anpassung von Teambesprechung, Review und Retrospektive und dauert 1,5 bis 3 Stunden. Der Kompromiss war nötig, um handlungsfähig zu sein. Nach Semesterende würde das „neue System“ evaluiert und gegebenenfalls angepasst. 1 Subteam nutzt das Weekly sehr intensiv für ihren Austausch. Die Motivation ist extrem hoch, viele neue Ideen kommen auf und Herausforderungen werden gemeinsam gelöst. Bei einer anderen Subgroup entsteht der Eindruck, dass sie das Weekly bei jeder Gelegenheit ausfallen lassen. Dies wird Thema bei der Evaluation zum Semesterende sein. Vielleicht kann die aktive Subgroup wertvolle Impulse geben, was ihnen der regelmäßige Austausch an Mehrwert gegeben hat.

Was war nach dem halben Test-Jahr spürbar anders? Was war der Mehrwert?

„Sehr positiv habe ich bemerkt, dass neue Studenten, insbesondere Projektstudenten oder Austauschstudenten durch die Subgroups sehr gut integriert werden, nicht nur sozial, sondern auch fachlich. Was mir auch aufgefallen ist, ist, dass der persönliche 1:1 Kontakt mit mir verloren gegangen ist. Dies ist sonst im Rahmen der Besprechung der Monatsberichte erfolgt. Deswegen habe ich jetzt eingeführt, dass ich immer nach der halbjährigen Forschungspräsentation ein Feedback-Gespräch mit dem Mitarbeiter führe – über seine Leistungen, Verbesserungsmöglichkeiten, Karriereziele und wie wir diese erreichen. Das wird sehr positiv aufgenommen.“ – so Professor Wegner.

Was noch nicht so klappt, sind das Schreiben der Paper Drafts. Diese sollten – so die Idee – kontinuierlich verfasst und eigenständig in den Weeklys besprochen werden. Aktuell wird das Schreiben vor sich hergeschoben, „der Output ist noch nicht so, wie ich das erhofft hatte.“, so Professor Wegner. „Vielleicht braucht es mehr Ermutigung zum Progress, zum unfertigen Zwischenstand.“.

Eigentlich sollte durch einen weiteren Live-Workshop das Vorgehen erneut reflektiert und angepasst werden, mit reger Beteiligung und dem intensiven Austausch. Das ging durch Corona nicht.

Eine virtuelle Reflexionsrunde im Januar 2021 ergab jedoch, dass die Änderungen vom Oktober 2019 als insgesamt „positiv wahrgenommen werden“.

Professor Wegner reflektierte mit seinem mittlerweile 17-köpfigen Team die Veränderungen der letzten Monate, denn: „Ich möchte das System auf jeden Fall so weiterführen, aber gerne mögliche Verbesserungen mit der Gruppe diskutieren.“. Hier machte Professor Wegner deutlich, was verhandelbar ist und was nicht. Eine Feedbackmöglichkeit war beispielsweise das Nutzen des 5 Finger-Feedbacks in den 3 Subgroups. Also was lief top, was sollten wir im Blick behalten, was lief schlecht, was sollten wir beibehalten, und was kam zu kurz.

Insgesamt war es gut, „den Spirit des Agilen Managements mal wieder aufzubauen und aufzufrischen und auch ein paar Dinge, welche sich eingeschliffen hatten, aufzugreifen, wie zum Beispiel keine Paper Drafts „in Progress“ stehen zu lassen oder zu lange Weekly Meetings.

Der kontinuierliche Verbesserungsprozess (KVP) läuft – dank Motivation, Retrospektive, Review und menschlichem Interesse.

„Es ist so erfrischend und beglückend, zu erleben, wie Forschende gemeinsam nach Formaten suchen, bis sie ihre wertvolle Zeit für das nutzen können, wofür sie an die Universität gekommen sind – für die Forschung mit Herz und Passion.“ – so Die Hochschulerfrischerin Ulrike Margit Wahl.

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